Geschichte des Personenschutzes: Lektionen für die Gegenwart

Autor: Dr. Franz Wulz

Willkommen zur neuesten Ausgabe von SICHERHEIT-KOMPAKT. Diese Woche tauchen wir tief in die Vergangenheit zum Thema „Personenschutz“ ein.

Wir werfen gemeinsam einen Blick auf die spannende Entwicklung des Personenschutzes und zeigen, wie sich diese Disziplin von den Wurzeln in der Antike bis zur modernen High-Tech-Sicherheitslandschaft entwickelt hat. Im Praxisansatz kramen wir keine verstaubten Geschichtsbücher heraus, sondern betrachten die historischen Herausforderungen des Personenschutzes und wie diese im Laufe der Geschichte gemeistert wurden.

Problemstellungen.

Ein zentrales Problem in der Geschichte des Personenschutzes lag in der Sicherstellung der körperlichen Unversehrtheit von Machthabern – und das in Zeiten OHNE moderne Technologien.

Die Geschichte des Personenschutzes ist somit von Beginn weg ein faszinierendes Spiegelbild der menschlichen Zivilisation (und deren technologischen Entwicklungen) und eng verknüpft mit dem tief verwurzelten menschlichen Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit.

Seit dem Entstehen der ersten sozialen Strukturen in der Frühgeschichte haben Menschen stets das Wertvolle geschützt – nicht nur ihr eigenes Leben und das ihrer Mitmenschen, sondern auch Besitztümer und wichtige Informationen. Die Notwendigkeit, Schutz zu bieten, ergibt sich aus der menschlichen Verwundbarkeit und wurde zu einem Eckpfeiler der gesellschaftlichen (Rechts-) Ordnung.

Personenschutz in antiken Zivilisationen: Schutz und Machtdemonstration.

In antiken Zivilisationen war der Schutz von Leben, Gesundheit und Vermögenswerten ein integraler Bestandteil der öffentlichen Sicherheit. Personenschutz diente jedoch nicht nur der Verteidigung, sondern auch der Machtdemonstration gegenüber weniger privilegierten Bevölkerungsschichten.

Soldaten erfüllten eine Rolle, die heute Personenschützer:innen übernehmen. Als Leibwächter der Pharaonen in Ägypten oder als kaiserliche Garde der chinesischen Dynastien waren diese Elitekämpfer nicht nur für den Schutz verantwortlich, sondern symbolisierten auch Autorität und Macht. Ihre Präsenz bot einen Abschreckungseffekt und vermittelte die Botschaft:

„Um zu unseren Herrschern zu gelangen, müsst ihr zunächst uns überwinden.“

Das Mittelalter und die Renaissance: Schutz und strategische Voraussicht.

Mit dem Fortschreiten der Zeit und der Entstehung von Nationen wurden die Schutzmethoden ausgeklügelter. Im Mittelalter und in der Renaissance mussten Ritter und Söldner eine Balance zwischen Tapferkeit im Kampf und kluger Voraussicht in der Planung finden. Ihre Stärke lag nicht nur in der physischen Kraft, sondern auch in ihrer Fähigkeit, strategische Entscheidungen zu treffen, um die Sicherheit ihrer Schutzbefohlenen zu gewährleisten.

Die industrielle Revolution: Neue Herausforderungen für den Personenschutz.

Die industrielle Revolution brachte tiefgreifende Veränderungen für den Personenschutz. Mit der zunehmenden Verfügbarkeit von Schusswaffen und neuen Transportmitteln wie Zügen und Autos mussten Personenschützer:innen neue Wege finden, um Risiken zu managen. Präventions- und Ermittlungsmaßnahmen wurden zu einem zentralen Bestandteil ihres Handwerks.

Fallbeispiel: Der Attentatsversuch auf Kaiser Franz Joseph I.

Ein markantes Beispiel für die Bedeutung und die Herausforderungen des Personenschutzes in der Geschichte ist der Attentatsversuch auf Kaiser Franz Joseph I. von Österreich-Ungarn am 18. Februar 1853. An diesem schicksalhaften Tag entschied sich der junge Kaiser für einen Spaziergang durch die Wiener Kärntnertorbastei, eine scheinbar friedliche Aktivität, die sich jedoch schnell in eine lebensbedrohliche Situation verwandelte.

Ohne Vorwarnung trat ein Attentäter an ihn heran, bewaffnet mit einem langen, doppelt geschliffenen Küchenmesser, das zu diesem Zeitpunkt eine verheerende Waffe darstellte.

Kaiser Franz Joseph war in der Uniform eines Dragoneroffiziers gekleidet, was möglicherweise dazu beitrug, dass der Angriff nicht tödlich endete. Der Attentäter griff von hinten an und zielte auf den Nacken des Kaisers, doch glücklicherweise glitt die Klinge am Kragen der Uniform ab und fügte dem Kaiser lediglich eine leichte, nicht lebensbedrohliche Verletzung zu.

Die Situation hätte jedoch schnell eskalieren können, hätte nicht der rasche und entschlossene Einsatz der Begleiter des Kaisers die Situation unter Kontrolle gebracht.

Flügeladjutant Maximilian O’Donell, ein treuer und geübter Offizier, reagierte sofort auf die Bedrohung. Ohne zu zögern, stürzte er sich auf den Angreifer und riss ihn zu Boden, bevor dieser die Chance hatte, ein weiteres Mal zuzustechen. Auch Graf von Tyrco-Ettenreich, ein ehemaliger Fleischer, der sich durch seine physische Stärke auszeichnete, unterstützte O’Donell bei der Neutralisierung des Angreifers.

Gemeinsam konnten sie verhindern, dass der Attentäter weitere Schäden anrichtete.

Der verletzte Kaiser wurde umgehend in einem Wagen zur Hofburg gebracht, wo seine Leibärzte die Wunde versorgten. Obwohl die Verletzung oberflächlich war, entzündete sich die Wunde im Verlauf der Tage, was den Heilungsprozess erschwerte und dem Kaiser vorübergehend Schwindelanfälle und Sehstörungen bereitete. Dieser Vorfall war nicht nur eine ernste Gefahr für das Leben des Kaisers, sondern auch ein dramatischer Hinweis auf die unvorhersehbaren Risiken, denen Staatsoberhäupter ausgesetzt waren.

Lektion aus der Geschichte.

Dieses Ereignis verdeutlicht zudem die damals vorhandenen Gefahren, denen Monarchen und Staatsoberhäupter nahezu täglich ausgesetzt waren. Ein Spaziergang durch die Stadt, der heute für einen politischen Führer gut durchgeplant und gesichert wäre, konnte damals in einem Augenblick zu einem tödlichen Unterfangen werden.

Es zeigt aber auch klar die Entwicklung auf, die heute noch im Tagesgeschäft des Personenschutzes präsent ist. Von ausgeklügelten Abwehrmaßnahmen über die Nutzung von Back-up-Fahrzeugen bis hin zum vorbereiteten Einsatz von medizinischem Personal (Medic-Einsatz), um im Ernstfall sofort reagieren zu können.

Diese Vorkehrungen sind heute Standard in der Sicherheitsplanung. So stehen nicht nur (lagebedingt gepanzerte) Evakuierungsfahrzeuge zur Verfügung, sondern auch sekundäre Fluchtwege und alternative Einsatzmittel, um bei einem Angriff oder Unfall sofort umdisponieren zu können.

Der Einsatz von taktischem Medic-Equipment, das speziell für solche Notfälle entwickelt wurde, gewährleistet heute, dass im Falle einer Verletzung der Schutzperson sofort angemessene und professionelle Hilfe durch TCCC-ausgebildete Personenschützer:innen geleistet werden kann.

Solche Maßnahmen sind das Ergebnis einer kontinuierlichen Entwicklung im Personenschutz, die sich von den einfachen, reaktiven Schutzmechanismen der Vergangenheit hin zu proaktiven, hochorganisierten Sicherheitsstrategien entwickelt hat.

Die Professionalisierung des Personenschutzes im 20. Jahrhundert

Mit der Professionalisierung des Personenschutzes im 20. Jahrhundert und den zunehmenden globalen Bedrohungen wie Amoklagen, Terrorismus und Spionage wurden die Anforderungen an Personenschützer:innen komplexer. Neue Technologien und Sicherheitsprotokolle wurden entwickelt, die den physischen Schutz mit intelligenter Informationsgewinnung kombinierten.

Die Globalisierung und die digitale Revolution haben den Personenschutz grundlegend verändert. Heute müssen Sicherheitskräfte nicht nur physische Bedrohungen abwehren, sondern auch Cyberangriffe und Identitätsdiebstahl konzeptionell beachten und verhindern. Der moderne Personenschutz umfasst daher High-Tech-Überwachung und diskrete Sicherheitsmaßnahmen, die weniger sichtbar, aber umso effektiver sind.

PROAKTIVITÄT. Ein entscheidender Aspekt der modernen Personensicherheit ist die Proaktivität jedes Kommandomitglieds. Es geht nicht mehr nur darum, auf sichtbare Bedrohungen zu reagieren, sondern diese frühzeitig zu erkennen und zu verhindern. Informationsbeschaffung, beispielsweise durch Open Source Intelligence (OSINT), ermöglicht es, potenzielle Gefahren im Vorfeld zu identifizieren.

DISKRETION. Ein weiterer wichtiger Aspekt des heutigen Personenschutzes ist die Geheimhaltung. Sicherheitsprotokolle beinhalten Maßnahmen, um die Bewegungen und Pläne der Schutzperson nicht öffentlich sichtbar zu machen. Dies verhindert gezielte Angriffe und erhöht die Sicherheit erheblich.

Fazit: Personenschutz als stille, aber entscheidende Profession.

Während der Personenschutz in der Vergangenheit oft mit körperlicher Präsenz und Stärke verbunden war, steht heute eine subtile Mischung aus Technologie, psychologischer Profilierung und zwischenmenschlichen Fähigkeiten im Vordergrund. Der klassische „Bodyguard“ weicht immer mehr hochqualifizierten Expert:innen, die sowohl in physischer Verteidigung als auch in strategischer Bedrohungsanalyse geschult sind.

Moderne Personenschützer:innen sind heute hochqualifizierte Fachkräfte, die weit mehr leisten als nur physische Präsenz. Sie sind versiert in der Nutzung von Überwachungstechnologien und beherrschen die Analyse von Verhaltensmustern, um potenzielle Bedrohungen zu erkennen, bevor sie akut werden.

„Der Erfolg eines taktisch optimal geführten Personenschutzeinsatzes wird daran gemessen, was NICHT passiert ist, nicht wie viele Täter abgewehrt wurden.“ (Dr. Wulz, Interview mit PULS4)

Personenschützer:innen agieren im Hintergrund, stets wachsam, um potenzielle Bedrohungen zu verhindern, bevor sie eintreten. Ihre Arbeit ist ein komplexes Zusammenspiel von Technologie, psychologischer Einschätzung und zwischenmenschlicher Interaktion – ein wahres „Ballett“ aus Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit.

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